Quellenbrief 6, Aug.2016
Liebe Weggefährten der Bewusstseinsarbeit durch Verkörperung!
Hätte ich keine Namen für die Dinge,
wäre alles ein Wunder!
In der letzten Zeit geraten alle persönlichen Aufstellungen zu archetypischen, genauer gesagt gebe ich mich mit der persönlichen Lösung nicht zufrieden, sondern befrage die jeweilige SELBST-Qualität nach der universalen Bedeutung des „persönlichen“ Heilungs- oder Befreiungsprozesses.
Bei einer dieser fortgeführten Aufstellungen kam vom SELBST der Satz:
„Körper ist nichts anderes als Geist.“
Kann man das so verstehen, dass alles was Form annimmt und sich verkörpert, eine Schöpfung des GEISTES ist? „Geist“ oder im christlichen Sinn „heilige Geistkraft“, wäre dann lebendig und kreativ, insofern sie über sich selbst hinaus geht! Wie tut sie/er das? Indem der Geist sich eine Form gibt, sich verkörpert und sich in die Materie vertieft („Inkarnation“). Dabei bleibt er selbst unfassbar und leer. Oder mit Worten des (buddhistischen) Herzsutra: „Leere ist nichts anderes als Form, Form ist nichts anderes als Leere“. Und wie ihr wisst, haben die Christen des 5.Jh. darauf bestanden, dass unsere geistige und unsere materielle Natur (das Selbst und das Ich) unvermischt und ungetrennt sind.*
Alle Verkörperungen sind Schöpfungen und Ausdruck des Geistes. Der Mensch, die Erde, Materie und Energie: Alle sind Kreationen des ewigen und unfassbaren „Geistes“. Nur scheinbar fertig, aber in Wirklichkeit immer in Bewegung und durchströmt von LEBEN, das alles in jedem Augenblick neu macht. Der Schöpfungsprozess ist in jedem Augenblick und in jeder verkörperten Form zugange! Das ist die letzte Selbstdefinition Gottes in der Bibel: „Siehe, ich mache alles neu!“ Alles, d.h. auch ich in meiner körperlichen Form bin in ständiger Erneuerung, übersteige in jedem Augenblick meine alten Identitäten. Oh Schreck, oh Wunder! Schreck und Staunen sind nichts als Hinweise darauf, dass ich schon wieder neu bin. Ausatmen und sterben – Einatmen, neu werden und sich von der Gestalt des Neuen überraschen lassen.
Kann man das Alte auch wahrnehmen, ohne es zu fixieren? Genau das versuchen wir in der Aufstellungsarbeit und in jeder anderen Form von Heilung und Befreiung. Aber wozu sich mit dem Alten überhaupt noch beschäftigen? Um das Gesetz der bedingten Entstehung zu erkennen und es damit aufzulösen, so verstehe ich Padmasambhava, einem indischen Meister des achten Jahrhunderts, der dem Buddhismus nach Tibet gebracht hat.
Das Gesetz von Ursache und Wirkung, also die Gesetzmäßigkeiten, nach denen wir unser Leben und unser Schicksal materialisieren und manifestieren -auch Karma genannt-, darf man sich nicht als mechanischen Ausgleichsmechanismus vorstellen. Es handelt sich vielmehr um Bewegungsimpulse (persönliche und kollektive Intentionen), durch die äußere Realität gesetzt wird. Sie entstehen, sie erreichen einen Höhepunkt und sie lösen sich wieder auf, wie alles im Universum. D.h. also, alles was wir in Bewegung setzen oder gesetzt haben, muss sich im Außen entwickeln und zur Wirklichkeit werden, bevor es sich auflösen kann. „Freude und Leid, Gutes und Schlechtes in diesem Leben sind ausschließlich das Ergebnis vergangener Handlungen“, schreibt Padmasambhava. „Wer sich nicht aus diesem Kreislauf befreit, der wird im Grunde überall sein Gefängnis mit sich herumtragen und sich irgendwann so fühlen, als ob er auf einem Haufen glühender Kohlen sitzt.“
Die Befreiung aber erfolgt, wenn es mir gelingt, sie in mein Herz zu nehmen und mich in sie hinein zu entspannen, wenn ich sie in einem nondualen Gewahrsein weder akzeptiere noch ablehne.
Die Ohnmacht, die entsteht, wenn ein Schicksalsschlag mir den Boden unter den Füßen wegzieht, weil ich nichts an der Situation ändern kann, kann ich nutzen, um mich in dieses Nichts, in diese Leerheit hinein fallen zu lassen. Ich kann nichts mehr tun, mich an nichts mehr festhalten und erfahre schließlich das Neue, das Lebendige, das mir die weiteren Schritte zeigt.
Wir Systemiker haben gelernt, das Karma-Gesetz nicht individuell zu sehen, sondern kollektiv. Was uns scheinbar von außen wiederfährt, sind die Folgen kollektiv geglaubter d.h. wiederholten Denkbewegungen, und zwar einem riesigen zeitlich und räumlich konstruierten Netzwerk von „Entstehen und Vergehen in Abhängigkeit“, wie die Zen-Meister es ausdrücken. Alles, was Form annimmt, ist eine Darstellung des Bewusstseins. Körper ist nichts anderes als Geist! Das, was wir nicht mögen und ablehnen, ist ebenso eine Form des Bewusstseins und daher gleichwertig mit dem, was wir mögen.
Gibt es den lust- und lebensvollen Standort des unbegrenzten Gewahrseins?! Dann ist auch mein Schicksal, mein Körper, mein Denken und Wahrnehmen der Welt, mein Selbst-Bild mein geistiges Werk und zwar in ständiger Erneuerung. Mein Leben ist mein „Stück“! (Skript, Drehbuch, Movie, Spiel) Mein Körper ist mein „Stück“, genau zugeschnitten! Meine Kindheit ist mein „Stück“, sehr spannend konzipiert! Meine Zukunft ist mein „Stück“, genial zu Ende geführt!
Inspiriert von der Theatertherapie und vom Bibliodrama bin ich in der letzten Zeit diesem Gedanken der Selbsterneuerung nachgegangen und habe folgendes Ausstellungsformat vorgeschlagen und ausprobiert:
Der Anliegenbringer als Regisseur seines eigenen Dramas.
Wir gaben dem Anliegenbringer, nachdem er/sie aufgestellt hatte, einen Regiesessel mit der Erlaubnis, während des Aufstellungsprozesses den Rollenspielern verbal Anweisungen zu geben, wie sie das Drama noch deutlicher darstellen und zuspitzen können. Der zweite Akt sollte dann, wie gewohnt autopoietisch zu einer Lösung führen.
Ich habe diesen Regieansatz der Aufstellungsarbeit in diesem Sommer bisher viermal erlebt, und dabei hat mich folgendes überrascht (und „Überraschung“, d.h. Falsifizierung von Annahmen, Glaubenssätzen und Konzepten, ist ja ein wichtiges Kriterium für Realität, – in Wissenschaft und Spiritualität!):
Alle vier Protagonisten konnten von der Regiearbeit nicht genug kriegen, aber nicht im Sinne von Identifikation und Leiden, sondern im Gegenteil in spielerischer Gestaltungskraft und Kreativität. Sie waren so mit Spaß und Intensität dabei, dass die Lösung (der 2.Akt) sich nahtlos und fast logisch aus dem „Drama“ entwickelte, natürlich mit staunender und freudiger Zustimmung der Regisseure, die dann auch gerne in die Rollen selbst eingestiegen sind, nachdem sie offensichtlich erkannt hatten, dass sie alles selbst sind: Produzent, Regisseur, Schauspieler, Zuschauer und das Leben selbst. Ja, dass das LEBEN selbst von Anfang bis Ende die Regie hatte.
Ich ahne, dass diese Spielart von Verkörperungsarbeit eine ziemlich neue Aufstellungsstruktur eröffnet, die Improtheater, Dramatherapie, Bühnenarbeit, Skulpturarbeit und klassische Aufstellungsarbeit integriert und in gewisser Weise Kinderspiel, Theater, Religion und Therapie zu ihrer gemeinsamen Bestimmung führt.
Jedes Leben ist eine geniale Spiel-Inszenierung, sogar das eigene! Jeder Körper eine raffinierte Konstruktion in Raum und Zeit, auch der eigene! Jede Gestalt taucht auf und wird zerstört am genau richtigen Ort und zur genau richtigen Zeit, das ist das Lebens-Spiel! Und jeder von uns ist Akteur, Zuschauer, Regisseur und Produzent zugleich. Und je mehr wir uns alle diese Perspektiven immer wieder zu Nutze machen und uns die Freiheit nehmen, sie zu wechseln, desto größer ist der Genuss, die Lebensfreude und die Schöpfungskraft.
Uns meist unbewusst hat das Selbst die Regie geführt mit Sinn fürs Drama, für Spannungs-Aufbau und -Ende, Lebendigkeit und Spaß und mit Einsatz des „Bösen“! Ich las vor kurzem im Kurier (vom 1. Aug.) ein Interview mit Christoph Waltz: „Was ist das Problem mit Bösewichten?“ sagte er da. „Was Sie Bösewicht nennen ist in Wirklichkeit der Antagonist, der das Drama antreibt. Er hat die aktivere Rolle als der Protagonist, denn er fördert die Helden des Protagonisten. Er stellt die Hindernisse und kreiert die Probleme, die der Protagonist bewältigen muss. Und das ist eine interessante Funktion. Wenn Sie mich also fragen, worauf ich aus bin, dann sage ich Drama.“ https://quellenbrief.wordpress.com/