Quellenbrief 10_Jan. 2019

Am Rande der Verrücktheit lebte ich bis jetzt,
nach Ursachen und Gründen suchend;
ein Leben lang klopfte ich an eine Tür,
als sie sich öffnete, erkannte ich:
Von innen hatte ich gepocht……..
Wenn du ich bist, komm herein, sagt die Geliebte,
in meinem Haus ist kein Platz für zwei.

Rumi

Liebe Freunde der autopoetischen, selbst-schöpferischen Aufstellungsarbeit,

ihr habt gelernt, euch in allen Lebenslagen und Lebensfragen an das SELBST, die QUELLE unserer Ganzheit, unserer Verbindung zum „Göttlichen“ – Allliebe, Allwissenheit und Allmacht – zu wenden. Um in Beziehung zum SELBST zu gelangen, haben wir miteinander geübt, das Selbst vom Ich zu unterscheiden, es durch Verkörperung zu externalisieren und dann vom Ich aus Fragen zu stellen, um Antworten, Leitung und Weisheit zu bekommen.

Und nun möchte ich euch das Gegenteil vorschlagen.

Erkläre das Jahr 2019 zum Jahr der Erneuerung und betrachte alle deine Fragen, Ängste und Zweifel als vergangen, erkenne alle Qualitäten des ICH als Konstruktionen und betrachte sie als gestorben und im SELBST auferstanden, sodass es nur noch das SELBST gibt. Dieses ICH-SELBST nach dem Tod des Ich ist kein Ding, sondern ein Geschehen, – zeitlos und ortlos –, unbegrenztes Potenzial, aus welchem alles Dinghafte, Materielle, Ichhafte beständig neu hervorquillt, neu geboren oder konstruiert wird. (Bekanntlich kann jede dieser Qualitäten des ICH durch Fixierung und Anhaftung oder durch Angst und Verdrängung zu einem redundanten Muster, zum „Ego“ werden, welches sich der ständigen Erneuerung eine Zeit lang widersetzen kann.)

Wir haben das ja schon immer gewusst oder geahnt, dass die eigentliche Wirklichkeit in unendlicher und bedingungsloser Liebe und Verbundenheit sowie in wechselseitiger Vernetzung aller „Dinge“ und Energien besteht und dass das lineare Denken in Ursache und Wirkung und die Bildung von Mustern, von Denk-und Fühl-Gewohnheiten (Ich, Ego, Psychologie, Physik, Wissenschaft und Religion usw.), dass das alles kreative Inszenierungen des GEISTES sind. Wobei diese Formulierung wiederum missverständlich ist, als ob der Geist oder „Gott“ das Subjekt der Schöpfung wäre. Denn in Wahrheit entsteht der GEIST in, mit und unter der Schöpfung und ist nicht getrennt von ihr und war nie getrennt von ihr.

„Leere ist nichts als Form. Form ist nichts als Leere“, heißt es im Herzsutra. Oder in einer Formulierung der Christen des 5. Jahrhunderts: „Die menschliche und die göttliche Natur des wahren Menschen (das Ich und das Selbst) sind unvermischt und ungetrennt.“

Konkret und alltagspraktisch könnte das so aussehen: du betrachtest alle negativen Empfindungen und Gefühle als Signale für übermäßige Vermischung oder übermäßige Trennung, für suchtartiges Hin-zu oder für abwehrendes Weg-von. (Am besten gefallen mir für diese beiden äußerst kreativen und keinesfalls als „Ego“ abzuwertenden Möglichkeiten die buddhistischen Begriffe positive oder negative Anhaftung.)

Woran erkennt man diese musterhaften Gewohnheiten bzw. tragbaren Gefängnisse, wie Franz Kafka sie nennt? Unser Körper-Seele-Geist-System, unser Leib zeigt uns das sofort und unmissverständlich. Positive Anhaftungen erkennen wir daran, dass wir ständig und in wahnartiger Sehnsucht an bestimmte Personen oder an Geld und Besitz oder an irgendwelche anderen Suchtmittel denken und uns hingezogen fühlen. Negative Anhaftungen sind immer begleitet von Angst, Wut oder Gefühllosigkeit. In beiden Fällen entstehen Verspannungen, Schmerzen und Krankheiten aller Art, wenn wir diese Signale längere Zeit nicht beachten.

Und jetzt kommt das Neue, nämlich diese Ego-Formen, sobald du ihrer gewahr wirst, vorbei sein zu lassen. Nach dem indianischen Sprichwort: „Wenn du ein totes Pferd reitest, steig ab!“
Komm auf den Boden der eigentlichen Wirklichkeit, geh sofort in die Selbst- oder Herzens-Qualität, bis DIESE alles umfasst, bis kein Raum mehr ist für Nicht-Vertrauen, bis kein Platz mehr ist für ausschließende Polarisierungen von Gut und Böse, von Ursache und Wirkung, von Raum und Zeit. Nur noch nonduales Sein in Liebe, Freude und innerer Stille.

Greta und ich haben diesen Zustand im Sommer 2017 auf der Insel Iz „das Gute ohne Gegenteil“ genannt und daraus die neue Herzenswunschaufstellung entwickelt, in der wir die nichts ausschließende (Selbst-) Wirklichkeit (mit irgendeinem vorläufigen Namen) dem Ich im Raum und Zeit gegenüberstellen, bis diese sich wie durch ein Wunder in Gleichheit und Verschiedenheit gegenüberstehen, unvermischt und ungetrennt. Nondualität trifft auf Dualität.

Du ertappst dich also bei irgendeinem negativen Gedanken oder unangenehmen Gefühlen. Sofort und bedenkenlos atmest du sie aus, klatscht sie ab oder trittst einen Schritt zur Seite und bist schon mit dem nächsten Atemzug im Neuen. (Vergiss die Hilfsmittel – Meditation, Konzentration, Atem, Natur, Yoga, Selbsterfahrung usw. –, wirft die Leiter weg, auf der du ins Neue gestiegen bist (vgl. Wittgenstein Traktatus 6.54). Wozu sie weiter mit dir herumschleppen? – Werde Niemand, werde leer und offen für ALLES. Atme das Alte aus. Lass es vorbei und gestorben sein. Lass den Tod hinter dir sein! Die letzte Selbstbeschreibung „Gottes“ in der Bibel lautet: „Siehe, ich mache alles neu“.

Lass dich nicht irritieren, wenn dich das Neue verwirrt und erschreckt. Das Neue ist immer überraschend, ja manchmal schockierend, weil wir allzu lang an das Alte geglaubt und im Alten praktiziert haben. Das Wesen des Neuen ist Lebendigkeit in all seinen Facetten. David Steindl-Rast sagt: „Wenn es einen Namen für Gott gibt, dann heißt er Überraschung“.

Die Methoden, in diese bedingungslose Liebe zu gehen, sind uns bekannt: Meditation, Yoga, Atem, Vorstellungen von Verbundenheit, Verkörperungen, Tanz, künstlerische Tätigkeiten usw. In den großen Traditionen der Menschheit wird das „Praxis“, „Karma“ oder ähnlich genannt. Als Methoden, um irgendwo anders hin zu kommen, sind sie für uns allesamt unbrauchbar geworden, torlose Tore, wie die Zenmeister in der Koan-Sammlung „Mumonkan“ es ausdrücken.

Sabine hat mir erlaubt, euch eine nächtliche Begebenheit wiederzugeben, die sie neulich erlebt hat:
„Um 4:00 Uhr nachts wache ich ärgerlich mit Bauchweh und Nackenverspannungen auf. Im Bett liegend fallen mir alle möglichen Ursachen ein:
– zu viel Chips gegessen, – zu wenig Bewegung, – hätte vielleicht doch Yoga machen sollen, – der Film war zu depressiv, – das Handy nicht abgedreht….
Mir ist zum Heulen zumute. Wenn ich daran denke, wie gut es mir gestern nach der Meditation und dem Tanzen gegangen ist. Und nun das! Als ob das alles umsonst gewesen wäre. Es ist wie verhext: das passiert mir immer wieder, gerade wenn es so gut war am Vortag, bestraft mich mein Körper mit Schulterspannungen, Kopfweh und Depression.
Endlich beschließe ich, all diese Gedanken hinter mir zu lassen, stehe aus dem Bett auf und setze mich auf mein Kissen zum Meditieren. – Aber wieder nichts. Ich lasse auch den Gedanken fallen, dass Meditation hilft, und bleibe sitzen, ohne irgendetwas zu erwarten oder mir vorzunehmen.
Allmählich stellte sich ein gewisser Friede ein, dann sogar Weite und später strömende Liebe.

Kümmere dich nicht mehr um mögliche Ursachen für das Schlimme und vergiss alle guten Ratschläge und Methoden, wie man das Schlimme behebt, bekämpft oder heilt. Lass alle Formen von Veränderung, Befreiung oder Erneuerung los, die mit Angst oder Anstrengung zu tun haben. Spirituelle Praxis zeichnet sich durch Freude, Leichtigkeit, Vertrauen und Dankbarkeit aus. Tritt ein in irgendeine verkörperte Praxis. (Ausatmen, Projektionen und Schleier entfernen, Aufstehen, Niedersetzen, in die Hände klatschen, Tanzen, Malen, Schuhe putzen, Tee trinken.) Im systemischen Jargon nennt sich das „Musterunterbrechung“. Du betrachtest alles Alte als Muster, Gewohnheit, zirkuläre Struktur und die weitere Beschäftigung damit als Metamuster, was die Sache nicht besser macht.

Wenn du aber auf alle wiederholten Verhaftungen und Egostrukturen – seien es ein körperliche Symptome, Glaubenssätze oder -systeme bis hin zu eingefahrenen wissenschaftlichen Fragestellungen –, mit respektlosen Musterunterbrechungen reagierst, dann kannst du wieder Freude am Leben und Forschen gewinnen. Dann vertiefst du dich mit Begeisterung in jede Fragestellung und bist für alle Einschränkungen ein für alle Mal gestorben. Du läufst wie ein Kind durch den Wald bis zur Erschöpfung und selbst das Jammern danach gehört zum Spiel.

„Wer sucht, soll nicht aufhören zu suchen, bis er findet. Und wenn er findet, wird er erschüttert sein. Und wenn er erschüttert ist, wird er staunen und König sein über das All.“ (Thomas-Evangelium Logion 2)

Geh mehrmals täglich in die SELBST-Qualität, 2 Minuten, 10 Minuten. Finde darin den „Geschmack“ von Freude, Liebe oder Dankbarkeit. Mit oder ohne Anlass oder Fragestellung, aber tu es. Das ist die schönste und erfüllendste und reichste Art zu leben.

Hier noch ein paar Hinweise:

Die nächsten Quellentage:

Reinischkogel bei Graz 15.-17. März 2019:  (Fr. 15.00 – So. 13.00)

Bad Boll/Zell/Ulm: 18. – 19. Mai 2019 (Sa.10:00 -So.16:00,
Voranmeldung bitte bis zum 24. Februar. Dann muss ich den Ort festlegen oder absagen, je nach voraussichtlicher Teilnehmerzahl.)

Axel Sumey, möchte eine Forschungsgruppe ins Leben rufen!
(Dozent für Religion und Ethik der Freien Dualen Fachschule für Pädagogik, Mobil: +49-176-24 92 11 66, Mail: )

‚SELBST‘-Forscher*innen zur Erneuerung des Religions-/Ethikunterrichts in Richtung Erfahrungsbasierung.

Seit ca. vier Jahren bin ich Religions/Ethik-Lehrer an einer säkularen Fachschule für Erzieher*innen im süddeutschen Raum. Alle Schüler einer Klasse sind bei mir im Unterricht, d.h. im Durchschnitt 1/4 Konfessionslos, 1/4 Evangelisch, 1/4 Katholisch, 1/4 Sonstige (in der Regel 3 -4 Muslime).
Ich möchte weg vom konfessionell kognitiv ausgerichteten Religionsunterricht hin zu einem offenen erfahrungsbasierten,

  • h. erstens: Dialogunterricht im Sinne von Buber bzw. der Idee des emerge evolutionären Dialogprozesses (Wahrheit findet sich im Dialog bzw. im We Space, s. http://www.thomas-steininger.de/bewusstsein-im-gespraech/), in dem alle Traditionen gleichberechtigt ihren Platz haben (z.B. auch der des humanistische Atheismus).
  • h. zweitens: Außerdem soll Spiritualität (=Verbundenheit mit sich selbst, den anderen, der Natur, dem Höheren, kurz dem SELBST im Sinne von Siegfried) durch praktische Übungen in den Unterricht integriert werden.

In der Übung ‚Der blühende Baum‘ auf dem Workshop von Siegfried am 12.-14.10. wurde mir nochmals klar, dass ich diesen Weg weitergehen möchte – allerdings nicht als Einzelkämpfer wie bisher, sondern in Verbundenheit mit anderen Gleichgesinnten. Wer hat Lust mit mir in der oben leider nur sehr kurz umrissenen Richtung (die natürlich auch offen ist für andere Impulse) weiter zu denken und zu spüren? Dann bitte eMail an: axel@sumey.de. Erste Treffen könnten auch im Internet mit Zoom oder Skype stattfinden.

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